Was den OL so interessant mach und warum wir alle von seinem Virus befallen sind, weiß ein jeder von uns. Aber nur wenige kennen den 24-Stunden-OL in Thüringen,
der heute schon zum fünften Mal ausgetragen wurde und einer der wenigen Wettkämpfe ist, der sich durch seine ungewöhnlichen Anforderungen von allen anderen abhebt
und für eingefleischte OLer eine Anziehungskraft besitzt, die ihn zu einem unvergeßlichen Erlebnis und zu einem absoluten Muß in den nächsten Jahren werden läßt.
Endlich einmal ohne Druck zu laufen, nicht irgendwelchen Ranglistenpunkten oder Meisterschaftsplätzen hinterherzujagen, sonder den Reiz des Außergewöhnlichen zu genießen,
kurzum, noch so richtig Spaß am OL zu haben. Da ist es, was den 24-h-OL auszeichnet, trotz seiner Strapazen.
Schon beim tschechischen Fünf-Tage-OL im August 1989 in Novy Bor schlossen Orientierer aus Bayern und Jena Freundschaft miteinander und versprachen schon damals eine Teilnahme
an dieser Mammut-Staffel. Und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Öffnung der Grenzen noch ins Reich der Märchen gehörte. So konnte uns auch die Terminkollision mit dem
Länderkampf Bundesrepublik - DDR und den Bayerischen Meisterschaften nicht davon abhalten, das Abenteuer in den Ausläufern des Thüringer Waldes zu suchen.
Was geht ab beim 24-h-OL?
Es handelt sich dabei um eine Sechser-Staffel mit mindest zwei Damen und höchstens drei Läufern der Kategorie H 19/H 21, die über die Dauer von 24 Stunden nacheinander durchwechseln,
wobei die einmal begonnene Reihenfolge immer eingehalten werden muß und auch zwischen den Bahnen nicht durchgewechselt werden darf. Sieger wird die Mannschaft mit der höchsten
Anzahl gültiger Wechsel. Bei gleicher Anzahl entscheidet die Einlaufreihenfolge der letzten. Läufer. Angewandt wird das Motala-System (mit Ausnahme der Startläufer).
Übermut bei der Ankunft
Schon bei unserer Ankunft am Freitag abend war zu erkennen, daß es an Service nicht mangeln sollte, die Infrastruktur war geradezu ideal. Parkplatz, WKZ, Zeltplatz, Wechselgelände, Dusche WC,
Imbiß ... alles zentral auf einem Fleck, noch dazu im Zentrum des Laufgebietes, hoch über den Toren der Stadt. Um die Gedanken an die bevorstehende Tortur zu verdrängen, wurde erst einmal
die Freiluft-Disco aufgemischt und die Stimmung kräftig angeheizt.
Davon angetörnt ließ sich Team Bavaria 1 zu einer verhängnisvollen Wette verleiten: Nach den Absagen von zwei Läufern blieb von Team II nur noch ein "Trümmerhaufen" übrig, die Mannschaft
konnte aber durch drei OL-Freunde aus der DDR aufgestockt werden. Durchschnittsalter: Mehr als 40 Jahre! Also schnell mal Liter Hopfenblütentee auf den Sieg im innerbajuwarischen Vergleich
gesetzt. Hätten wir um Stärke der drei DDR-Läufer gewußt, hätten wir uns darauf sicherlich nicht eingelassen. Unter ihn war nämlich Helmut Conrad, der eben noch im Alter von 51 Jahr bei der
DDR-Langstreckenmeisterschaft in H 21 E den 14. Platz erreicht hatte!!
Etwas höher gesteckt waren da schon die Ziele der Bayerisch Uslarer Kombination, die sich von vornherein in den oberen Gefilden festsetzen wollte. Ganz anders die Devise des TV Horn:
Das Team war mit 5 Damen (!) u Hans Hartmann angereist, da war lediglich "Durchhalten" angesagt. Außer den vier bundesdeutschen Staffeln waren noch fünf Staffeln aus Litauen, vier aus Moskau,
eine aus Kiew und 17 aus der DDR angereist, insgesamt also 31.
Der Start
Der Ernst begann am Samstag früh, Punkt 9 Uhr. Die Startläufer zumeist Damen, wurden im Massenstart auf die erste, 3,5 km lang Schleife, geschickt. Als auch nach 30 Minuten selbst am
Funkposten noch Funkstille herrschte, war klar, daß das Gelände seine Tücken haben mußte.
Es gliederte sich nach Norden in eine ausgedehnte Plateaufläche mit Buchenhochwald, schlecht erkennbaren Pfaden und Vegetationsgrenzen, alten Steinbrüchen und Karstgruben sowie nach drei Seiten
steil abfallenden Hängen nach Süden in ein tief eingeschnittenes, stark verzweigtes Tal, durchsetzt mit einigen Felsen, nach Westen schließlich in ein Nadelwaldgebiet mit vielen halboffenen
Flächen und abwechslungsreichem Relief.
Endlich, nach über 36 Minuten kam die erste Läuferin aus Moskau zum Wechsel, und nur ein knappe Minute dahinter folgt schon Evi lglhaut (Bayer. Uslar) auf Rang 3. Zwei Dinge zeichneten sich im weiteren
Verlauf ab: Einerseits durchweg lange Laufzeiten auf der ersten Schleife eines jeden Läufers, bedingt durch das schwer belaufbare Gelände mit nur geringer Sicht. Die ohnehin nicht leichten Posten mußten
also sehr genau anorientiert werden und wer will schon gleich am Anfang großes Risiko eingehen! Außerdem bedurfte es einiger Zeit, sich in die allerdings hervorragende Karte einzulesen. So waren z.B. Pfade,
gerade fußbreit, wie normale Waldwege eingezeichnet, aber im Gelände selbst am Tag kaum zu erkennen.
Andererseits setzte sich Bayer Uslar in der Spitzengruppe fest und fühlte sich dort sichtlich wohl. Schon bald ging die Führung dann an den OK Azuolas aus Lettland über, Bayer Uslar lieferte sich einen harten
Kampf mit den "Super“ Moskauern und Aufbau Chemnitz, konnte sich schließlich von beiden etwas absetzen und verringerte auch langsam den Rückstand auf die Litauer. Spannend blieb es auch zwischen
den beiden bayerischen Teams, hin und her, jeweils um Platz 20 herum. Sehr wacker hielt sich auch die Staffel des TV Horn, die sich stets so um Rang 25 bewegte.
Die Nacht
Die Entscheidung mußte also in der Nacht fallen. Doch hier tat sich überraschenderweise nicht mehr allzuviel. Mit einer Ausnahme: Ab 21 Uhr wurde auf eine spezielle Dämmerungsbahn gewechselt.
Die Laufzeit auf dieser 5-km-Strecke war von den sich ändernden Lichtverhältnissen relativ unabhängig, es handelte sich um einen reinen Linienlauf. Nach der Dämmerbahn wurde nur noch auf Nachtbahnen
gewechselt, die Posten waren jeweils beleuchtet. Am Sonntag morgen wurde nicht mehr auf Tagbahnen übergegangen, die Nachtstrecken konnten bei Heiligkeit also voll durchgekeult werden - sofern man
noch Kraft dazu hatte.
Was also war passiert? Steffen Walther wechselte für Bavaria 1 auf Horst Ziesmann, um 20.20 Uhr. Die Frage war nun: Sofort weiterlaufen und riskieren, auf einer unbeleuchteten Tagbahn in die Dunkelheit zu
kommen oder bis 21 Uhr warten und auf der beleuchteten Dämmerbahn weitermachen. Man entschied sich für weiterlaufen. 40 Minuten verstreichen zu lassen, erschien uns zu lange, und nach einer Stunde
würde Horst schon wieder hier sein, kein Problem. Doch wir hatten zu hoch gepokert. Horst kam in die Finsternis und wurde lange vermißt. So verloren wir zwei Stunden und einen gültigen Wechsel sowie sieben Plätze
und natürlich die Wette, denn das war nicht mehr aufzuholen.
Ansonsten tat sich nicht mehr viel, die "Wessies" kamen durchweg gut durch die Nacht, die Fronten klärten sich immer mehr ab, es gab ein Kommen und Gehen in den Zelten, keine Klagen ob der schmerzenden
Beine und der aufkommenden Müdigkeit kamen über die Lippen - im Gegenteil: Keiner ließ sich etwas anmerken und die Litauer legten sogar nach dem fünften Einsatz noch wahrhaft phänomenale Wechselsprints hin.
So blieb es letztlich bei Rang 2 für die OLG Bay.-Uslar mit 34 Wechseln hinter den Litauern und vor Super Moskau. Ein toller Erfolg für Evi Iglhaut, Manfred Scholz, Werner Drese, Martin Hoy, Heike Neuhaus und Achim Bader.
Die OLG Bavaria II konnte Rang 20 gegen alle Angriffe verteidigen. Ein dickes Kompliment an die Mädels des TV Horn. Für sie reichte es nach großartigem Einsatz immerhin zu Rang 24. Das zeigt auf, was alles drin ist,
wenn man nur ohne ungültigen Wechsel durchkommt. Team Bavaria I kam noch auf Rang 27.
Schon eine Stunde nach Zielschluß (9 Uhr) begann die Siegerehrung. Bayer Uslar bekam eine Torte überreicht. Dabei machte Heike ein Gesicht, als müßte sie diese alleine auffuttern.
Lob von allen Seiten wurde den Ausrichtern des OLV Thüringen und der HSG Uni Jena um Tausendsassa Erik Schütz zuteil, für diese einfach und unauffällig, aber sehr effektiv organisierte Veranstaltung, bei der das
überwiegend jugendliche OrgaTeam ca. 36 Stunden rund um die Uhr im Einsatz war und seine Aufgaben dabei vorbildlich löste. Da wir auch sowohl das "O" wie das "L" bestens trainiert hatten, traten wir am späten Vormittag
zwar erschöpft aber glücklich die Heimreise an.
Natürlich wird es auch eine 6. Auflage des Thüringer 24-Stunden-OL geben, mit alter Begeisterung und neuem Gelände und neuer Karte, v.a. aber mit weiteren neuen Teilnehmern, dessen bin ich mir sicher. Denn der OL-Virus
hat jetzt einen Ableger bekommen, den 24-h-Bazillus. Deshalb sollten sich schon heute Wettkämpfer, in erster Linie aber auch Terminplaner und Veranstalter den Termin 1991 ganz dick anstreichen:
Den 1. und 2. Juni 1991 Wer nicht kommt, ist selber schuld!