Es gibt weder Meistertitel zu gewinnen noch Ranglistenpunkte. Trotzdem kommen Jahr für Jahr immer mehr deutsche und ausländische OLer nach Thüringen, ins
grüne Herz Deutschlands. Zur 9. Auflage der `weltlängsten Staffel" fanden sich traditionsgemäß vor allem breitensportlich orientierte Teams, die sich gegenseitig
schon bei der Meldung zu übertreffen suchten - bei der Namensgebung: "O-Schnecken" und "Füchse", "Glühwürmchen", "Marzahner Elchbrigade", "Fliegendes
Suizidkommando", "Chaeschueechli Kapreolo“ u.a. - oder "Einfach Kurt“. Insgesamt 80 Staffeln mit Teilnehmern aus Großbritannien, Belgien, Osterreich, Schweiz,
Rußland, Estland, Litauen, Rumänien und Deutschland meldeten.
Die Vorbereitung des Laufes - wie immer über ein Jahr dauernd - gestaltete sich diesmal recht kompliziert. Trotzdem das Wettkampfgebiet in einigen Monaten
durch den Bau einer Autobahn geteilt werden wird, gab es plötzlich erhebliche Widerstände seitens der zuständigen Behörden zur Genehmigung der Veranstaltung.
Letztlich durch den persönlichen Einsatz eines Landtagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen war die Veranstaltung doch erlaubt worden.
Mit den heutigen Möglichkeiten der Kartenzeichnung per Computer reizen die Kartenaufnehmer die Terminabläufe fast völlig aus. Redaktionsschluß der Karte war
Ende April, Drucklegung Anfang Mai, dann noch Bahneindruck 5 Tage vor dem Start. Doch plötzlich kam die Hiobsbotschaft: Räumung der Druckerei wegen
Bombendrohung ...
Als dann Lutz Spranger die Karten endlich in seinem wieder maßlos überladenen Trabant verstauen konnte, war es Mittwoch 15 Uhr.
Am Wettkampfort war inzwischen begonnen worden, alle notwendigen technischen und organisatorischen Sachen aufzubauen, zu installieren, zu sortieren;
- ein Zielturm, in dem praktisch das gesamte Rechenbüro untergebracht ist,
- ein von Jahr zu Jahr größer werdendes Bierzelt (Köstritzer Schwarzbierbrauerei),
- Duschzelte, die rund um die Uhr warmes Duschen ermöglichten.
Was die Organisatoren aus Jena und dem Thüringer Raum jedes Jahr zum Gelingen der Veranstaltung auf die Beine stellen, nötigt höchsten Respekt ab.
Beim 24-Stunden-OL wird gezeltet. Typisch deutsch dabei das Verhalten beim Zeltaufbau: erst mal Abstecken der Grenzen des eigenen Vereins und Reservieren
für die später anreisenden Sportfreunde. Zum Glück ist die Stimmung bei diesem Lauf so gut, daß letztlich dann doch Fremden Einlaß gewährt wird, wenn's eng
wird. Und es wurde eng, denn viele reisen mit Kind und Kegel an. Auch das macht die familiäre Atmosphäre dieser Veranstaltung aus.
Wer zum 24-Stunden-OL erst zum Start morgens 9 Uhr anreist, hat schon einiges verpaßt. Am Vorabend wird gefeiert, getanzt, gegessen. Und getrunken. Einige
Staffeln legen hier schon eine Nachtetappe ein. (Andere Teams verschaffen sich durch Zurückhaltung aber auch "unzulässige Vorteile".)
Das Erwachen am Morgen dann grausig: Müdigkeit, Kälte, Nässe. Doch mit fortschreitender Zeit kommt ein Gefühl der Spannung und Erwartung auf, das man
wohl nur beim 24-Stunden-OL hat.
Kurz vor 9 Uhr wird es hektisch. Genau 80 Staffeln stehen auf der Startlinie. Obwohl sich bestimmt 70 Staffeln keinerlei Sieghoffnungen machen, wird auf der
Startstrecke immer gekämpft. Dann der Start; einige Startläufer sprinten, als wäre die Startstrecke nur 200 m lang; ihre Devise: wenigstens einmal in Führung sein.
Wenige Minuten später melden die Funkposten dann die Plazierung der ersten Staffeln, die Veranstaltung läuft.
Nach einigen Wechseln - jeder hat inzwischen ein Gefühl für Karte, Bahnlängen und Bahnschwierigkeiten - kommen die "Taktiker" zum Zuge. "Wenn wir 4 mal LD,
3 mal LE, 4 mal SD und 2 mal SE nehmen, dann müßten wir etwa zur Dämmerung ..." Der Modus des 24-Stunden-OL (38 Bahnen jeweils gleichwertig in den
Bereichen long difficult, long easy, short difficult, short easy, dazu die gleiche Einteilung für Nachtbahnen und zwei Dämmerungsbahnen) läßt eine Vielzahl taktischer
Überlegungen und Handlungen zu. Am Ende zählen nämlich nur die Wechsel, nicht die zurückgelegte Distanz. Doch keiner will Tagbahnen in der Nacht laufen, aber
auch keiner beim Wechsel auf die Dämmerungsbahnen warten müssen. Die Damen laufen meistens die kürzeren Strecken, die orientierungstechnisch schwächeren
Läufer die Easy-Bahnen. Wer wann welche der 38 Bahnen läuft, das liegt letztlich (fast nur) im Ermessen jeder einzelnen Staffel. Lediglich die gemeldete
Reihenfolge der Läufer der Staffel ist einzuhalten. Die Zeiten werden bei jedem Wechsel online in den Rechner gestoppt; jede halbe Stunde werden
Zwischenwertungen ausgedruckt. Nebenbei läuft noch eine Trimm-0L-Veranstaltung, und auch um die OL-Kinder kümmert sich der Veranstalter.
Der OL-Kindergarten - reichlich bestückt mit Spielsachen, die die Stadt Ilmenau spendiert hat wird zum Sammelpunkt für vermeintlich verlorengegangene Kinder.
Am Nachmittag schälen sich die ersten Favoriten heraus. Doch das Bild täuscht noch etwas. Einige Staffeln laufen am Anfang vor allem die kurzen Bahnen, andere
erst die langen. Am Abend dann haben erst wenige Staffeln alle Tagbahnen absolviert; es zeichnet sich nunmehr ein Kopf-an-Kopf-Rennen von 4 ungarischen
Staffeln ab, aber auch die "Glühwürmchen" (USV TU Dresden und M. Nolte) mischen vorn noch kräftig mit.
Bei den Staffeln, die weiter hinten plaziert sind, bestimmen die Ehrgeizigen ihre Ziele neu. Andere laufen nur aus Spaß.
Wer nicht schnell läuft, soll wenigstens gut essen und trinken. Wie jedes Jahr ist ausreichend für das leibliche Wohl gesorgt. Kaffee und Kuchen, Bratwürste und
Bier finden reichlich Zuspruch. Das Schwarzbier ist schon am Samstagnachmittag weggetrunken.
Dieses Jahr bildet sich wieder eine lange Schlange: am Vitzthum'schen Eierkuchenstand. Der trinkfeste Jenaer ist auch für seine Backqualitäten bekannt.
Es wird Abend. Mit Dunkelheit ist zu rechnen. Beim Einschalten der Beleuchtung bricht fast die Stromversorgung zusammen; 50 kW Anschlußwert sind für den
24-Stunden-OL zu wenig. Auch die 7 kW für die Eierkuchen müssen gestrichen werden. Es bleibt bei genau 716 gebackenen Eierkuchen.
Nach den 2 Dämmerungsbahnen muß jede Staffel auf die Nachtbahnen. Und hier werden die Reihenfolgen meist neu "gemischt", da nachts kleine Fehler oft sehr
große Zeitverluste nach sich ziehen, wohl auch mancher keinerlei Erfahrung bei Nacht-OL hat.
Spätestens nach der 1. Nachtrunde - gegen 2 ... 3 Uhr - greifen viele Staffeln zu "taktischen" Maßnahmen: Die ursprünglich zur Vermeidung von Ausfällen ganzer
Staffeln eingeräumte Möglichkeit der Streichung verletzter Läufer wird dazu genutzt, die (den) vermeintlich Schwächste(n) aus der Staffel zu nehmen und als
5er-Staffel weiterzulaufen.
Am frühen Morgen haben die Spitzenstaffeln ihre Nachtbahnen absolviert, es geht auf die Final- Farsta-Strecken. Die Spitzenplätze sind wohl vergeben, trotzdem
wird weiter gekämpft. Auch auf den hinteren Plätzen. Schließlich zählt bei gleicher Wechselzahl die Einlaufreihenfolge, nicht die gelaufene Kilometerzahl.
Kurz vor 9 Uhr wird es noch einmal spannend: Wer werden 1994 die Pechvögel sein, die nach genau 24 Stunden zwar auf der Zielpflichtstrecke sind, aber eben
nicht im Ziel, also ihre letzte Runde umsonst liefen; das Reglement ist in diesem Punkt hart. Die führende ungarische Staffel (0-Schnecken) „rettet" sich 8:56:36 Uhr
ins Ziel und schafft somit als einziges Team 36 Wechsel.
Bereits gegen 10 Uhr erfolgt die Siegerehrung. Obwohl sicher jeder schnell nach Hause will, um sich von den Strapazen des 24-Stunden-OL zu erholen, bleiben
doch die meisten Wettkämpfer noch; wohl auch wegen der jugendlich frischen Art der Moderation der Siegerehrung und um den Veranstaltern Dank für die
gelungene Veranstaltung zu sagen. Natürlich Dank für den sportlichen Wert des Wettkampfes, der trotz eines kleinen Fehlers am Anfang (vertauschte Codezahl)
sicher unbestritten ist, aber auch Dank für die in jeder Hinsicht gute Umsorgung der Teilnehmer; sei es bei der Verpflegung, beim fast pausenlos möglichen warmen
Duschen im Duschzelt, bei der schnellen Zwischenwertung u.v.m.
Heyda bei Ilmenau war das Kommen wert, Tautenburg bei Jena wird 1995 wohl noch mehr Teilnehmer sehen. Wie zu erfahren war, nutzen die ungarischen
Nationalläufer den harten Modus des 24-Stunden-OL, um mit diesem harten "Training" ihr Leistungsvermögen nach vorn zu bringen. Vielleicht findet dieser
Gedanke künftig auch beim deutschen Team gefallen?