Was für die einen der Hawaii-Triathlon und die anderen der New York - Marathon, ist für den Orientierungsläufer der Thüringer 24-Stunden-OL.
Manch einer mag jetzt protestieren und statt dessen die O-Ringen oder die Tiomila oder sonst einen anderen erlebnisreichen OL ins Feld führen.
Jeder nach seinem Geschmack. Dieser außergewöhnliche Wettkampf, der heuer in seiner 7. Auflage in Bad Klosterlausnitz ausgetragen wurde,
dürfte endlich den Durchbruch geschafft haben, denn mit 58 Staffeln aus sechs Ländern war ein deutlicher Teilnehmerschub gegenüber den Vorjahren
zu verzeichnen. Und für das nächste Jahr müssen die Veranstalter des USV Jena mit einem weiteren Ansturm unerschrockener Orientierer rechnen.
Zu recht, denn Wettkampf und Organisation sind allererste Sahne und verdienen eigentlich noch ein Vielfaches an Teilnehmern - sofern die wackeren
Organisatoren um Lutz Spranger dann noch in der Lage wären, den 24-Stunden-OL weiterhin durchzuführen. Der Aufwand für eine derartige Staffel ist
nämlich enorm groß und mit einer relativ kleinen Gruppe irgendwann kaum mehr realisierbar. Schon heuer mußten 2100 Karten präpariert, rund
1600 Kontrollkarten ausgewertet und alles für jede Staffel in die richtige Reihenfolge gebracht werden. Sanitäre Anlagen waren jetzt schon Mangelware.
Über 9000 km wurden innerhalb der 24 Stunden zurückgelegt - eine Veranstaltung der Superlative, die bei entsprechender Öffenlichkeitsarbeit das Zeug dazu hätte,
in ein paar Jahren ein echter internationaler Klassiker zu werden.
Worauf's ankommt
Beim 24-Stunden-OL bilden sechs Läufer eine Staffel, wobei der sechste Läufer wieder auf den ersten Läufer wechselt. Sieger ist, welches Team innerhalb
24 Stunden die meisten gültigen Wechsel vollzogen hat. Dabei gehören mindestens zwei Damen und ein Altersklassenläufer zu einer Mannschaft, eine
Clubstaffelpflicht besteht nicht. Vor allem der Nacht-OL und die mehrmaligen Starts an einem Tag machen den besonderen Reiz dieser Veranstaltung aus.
Von den Spitzenteams waren einzelne Läufer bis zu sechsmal im Wald, manch einer legte Luftlinie eine Marathondistanz zurück und das alles in Gelände mit
viel Unterholz, hohem Gras, einzelnen Sümpfen und kräftezehrenden Bodenwellen, das aber glücklicherweise überwiegend flach war.
Weil das Gelände eben so "grün" war, nahmen alle bevorzugt große Umlaufrouten auf Wegen in Kauf, was zu zahlreichen "Zickzack-Kursen" und deutlich
höherer effektiver Laufdistanz führte. So waren die O-Anforderungen diesmal als eher leicht einzustufen, so daß die physischen Fähigkeiten und die richtige
Taktik, wie man die mehrfachen Starts konditionell durchstehen kann, eindeutig im Vordergrund standen. Überhaupt benötigt man neben einer gehörigen Portion
Kondition auch eine Menge Erfahrung, damit der Traum vom 24-Stunden-OL nicht zum Alptraum wird. Konstante, sichere Läufe ohne Fehler, auch in der Nacht,
die Einteilung der Kraftreserven und eine schnelle Regeneration sind Voraussetzungen, um in diesem Wettkampf bestehen zu können.
Insgesamt stehen 37 verschiedene Bahnen zur Verfügung (entspricht ungefähr 37 möglichen Wechseln), aufgegliedert in 1 Start-, 14 Tag-, 2 Dämmerungs-,
14 Nacht- und 6 Schlußbahnen. Die Tag- und Nachtstrecken unterteilen sich noch einmal in lange, kurze, einfache und schwere Bahnen, so daß viele taktische
Variationen möglich sind.
Freud, Leid und Komik
Bei Zielschluß spielte sich so manche Freudenszene, aber auch so manche Tragik ab. Während die einen Sekunden vor Zielschluß die Ziellinie überquerten und
so noch einen gültigen Wechsel schafften, scheiterten andere nur um ebenso wenige Sekunden. So brach eine Läuferin bei "Schlußpfiff" 20 Meter vor dem Ziel
zusammen - sie hat den 24-Stunden-OL wohl doch ein wenig zu ernst genommen.
Natürlich ist so eine Veranstaltung auch immer von einigen Anekdoten geprägt, Leidtragende waren diesmal 'die drei Fachausschußmitglieder der beiden
bayerischen Teams. Der eine verursachte eine Explosion, die den ganzen Zeitplatz erschütterte, alle Teilnehmer fluchtartig aufschreckte, das Zelt des Betroffenen
aufblähte und beinahe aus den Angeln riß und bei ihm selbst einen äußerst ungläubigen Gesichtsausdruck hervorrief. Hätte er sich eben nicht gerade so abfällig über
ein anderes Mannschaftsmitglied geäußert, wäre ihm die Luftmatratze vielleicht nicht geplatzt.
Ein anderer zerstückelte mit seinem Gewicht durch bloßes Sitzen einen fremden OL-Stuhlrucksack. Die ersten Diätvorschläge sind bereits eingetroffen, werden aber
anscheinend ignoriert. Und während der dritte nach fast 24 Stunden auf seiner letzten Schleife auf dem Zahnfleisch robbte und verzweifelt versuchte, seiner Staffel
einen weiteren Wechsel zu bescheren, schlossen die andern, schon bei Bier und Schampus sitzend, feuchtfröhliche Wetten auf ihn ab, ob er den Zielschluß denn
noch rechtzeitig erreiche oder nicht. Er schaffte es natürlich nicht ("Einer ist immer der Looser...')
Sieger wurde überraschend der USV TU Dresden 1 vor WKS Wawel Krakau aus Polen und Perkunas 1 aus Litauen, alle mit jeweils 34 Wechseln. Die Dresdner
bewiesen dabei der erstaunten Konkurrenz, daß man auch mit drei Damen im Team gewinnen kann.
Noch mehr Stimmung
Einzelne bedauerten, daß die familiäre und improvisierte Atmosphäre früherer Jahre verlorengegangen ist. In der Tat, die Veranstaltung war perfekt, vielleicht zu
perfekt, denn große Stimmung, die einem solchen Wettkampf erst den richtigen Touch verleiht, vermochte eigentlich nie aufzukommen. Ein Trompeter und einige
in der Endphase Beifall spendende Zuschauer aus dem Ort sowie die teils enthusiastischen Speaker waren allerdings erfreuliche Ausnahmen. Auf allgemeines
Unverständnis stieß berechtigterweise, daß einige Unverbesserliche nach wie vor unter dem Namen "DDR" laufen. Gerade die sog. "Wessies" sollten sich aber
auch mal an die eigene Nase fassen, denn anstatt sich zu bemühen, von den neuen Bundesländern, Thüringen oder Sachsen zu sprechen, reden sie selbst noch
immer von der "DDR". Wen wundert's also?
Auf das übliche "Nie mehr 24-Stunden-OL“ wurde diesmal von vornherein verzichtet, wohl wissend, daß man sich - sind die Strapazen erst einmal vergessen
ohnehin nach ein paar Tagen schon wieder auf die 8. Auflage freuen wird. Und die führt den OL-Troß 1993 nach Eisenach. Wohl gar ins ehemalige WM-Gelände
von 1970?